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8848m: Fynns Everesting Erfahrung

Von 20. April 2021Juni 1st, 2021Travel

Mit einem breiten Grinsen auf den Mount Everest

Everesting ist eine Aktivität, bei der Radfahrer einen selbst bestimmten Anstieg mehrmals und ohne Pause rauf‐ und runterfahren, um insgesamt 8.848 Meter (die Höhe des Mount Everest) zu erreichen. Das erste „Everesting“ wurde von George Mallory, dem Enkel von George Mallory, der 1924 auf dem Everest verschwand, bestritten. Mallory fuhr 1994 am Mount Donna Buang, acht „Runden“ mit jeweils 1.069 Meter. Das Format und die Regeln wurden dann von Andy van Bergen erarbeitet. Beim ersten offiziellen Gruppen‐Everesting organisierte van Bergen 65 Fahrer, von denen 40 den Everest‐Versuch beendeten. Das Interesse an Everesting hat während der COVID‐19‐Pan‐ demie zugenommen und wurde von vielen Profis und Ex‐Profis bestritten. Aktueller Rekordhalter ist Ronan McLaughlin mit 7:04 Stunden.

„Fünfstellig ist schon ein anderes Wort“

Um Zeiten und Rekorde ging es Fynn bei seinem Everesting am heimischen Sudelfeld jedoch nie. Mit seinen 82 Kilo sei er einfach zu schwer, um eine Top Zeit zu fahren. Es sei eine ganz, ganz einfache Rechnung: „Ich brauche mit meinem Gewicht einfach 60Watt mehr am Berg als ein 62 Kilo Fahrer – und das funktioniert auf Dauer nicht“. Auch der Berg, den sich Fynn für seine Challenge ausgesucht hat, ist eigentlich zu flach. Aber nachdem es ja nie um die Zeit ging war es ihm wichtig, einen schönen Anstieg mit Aussicht und Abwechslung zu haben – wenn er ihn schon über 30‐mal befahren wird! Wie oft genau er die 320 Höhenmeter zwischen Bayrischzell und dem Sudefeldpass fahren würde, war auch noch offen. Fynn hatte vier Ziele vor Augen: Zuallererst das Everesting. Also 8848 Höhenmeter am Stück, also nur rauf und runter. Das sei auch kein großes Ding „8000 is ned so schlimm, des bin ich vorletzte Woche auch in den Dolomiten gefahren“. Dann waren da die 10.000 Höhenmeter. „Fünfstellig ist schon ein anderes Wort“ und dann hatte er noch zwei Zahlen im Kopf: den Marianengraben, als tiefste Stelle der Weltmeere, mit ca. 11.000 Metern und die Kola‐Bohrung, mit 12.262 Metern die tiefste Bohrung der Welt. Das Ganze aber „entspannt und auf keinen Fall verbissen“. Verbissen ist eh ein Wort, das einem bei Fynn selten in den Sinn kommt. Auch wenn man ihm auf Strava folgt: 6.000 Höhenmeter am Stilfser Joch, 7.000 Höhenmeter am Kühtai, 250km durch die Dolomiten, 10‐mal den Spitzingsattel vor der Arbeit – und das alles immer mit einem fetten Grinsen im Gesicht. Klar ist er das alles als Vorbereitung gefahren, aber auch „weil´s saumäßig Spaß macht.“ Und ja, für den großen Tag hat er sich bei Trek das neue, superleichte Emonda gestellt bekommen. Aber auch hier die Serienvariante und nicht das auf absoluten Leichtbau getrimmte Bergziegen‐ Bike. Auch bei der Verpflegung war er pragmatisch: „Wenn Du das ganze Jahr kein Gel nimmst, brauchst jetzt ned damit anfangen“. Es gab also Nussecken vom Radlercafe „Florians Backstube“ in Hausham, Wurstsemmeln und das eine oder andere Stück Kuchen. Dazu Wasser mit Salz und viel Spezi – aber da natürlich das Original von Paulaner.

Um 03:30 Uhr ging es los

Schon als er um 03:30 Uhr seinen Bus am Feuerwehrhaus in Bayrischzell parkt, ist er nicht allein. David begleitet ihn von Anfang an. Leider kann er die 300 Watt, die Fynn auf den ersten 8 Ausfahrten drückt, nicht jedes Mal mitgehen und setzt daher jede zweite Fahrt aus, aber auch das „war super für die Moral“. Gegen halb fünf beginnt es zu dämmern. „Eine geile Zeit zum Radfahren! Ruhig, kein Verkehr und du fährst in die aufgehende Sonne“. Die Höhenmeter summieren sich schnell, 1000, 2000, 3000.

Nach dem Frühstück kommen immer mehr Freunde ans Sudelfeld. Susanne, Evi, Flo, Vroni, sein langjähriger Trans Alp Partner Basti, Steff, Roland und natürlich seine Freundin und Profiphotographin Kathrin. „Ich glaub ich bin nur sechs oder sieben Mal alleine hochgefahren“. Und das war auch eines seiner größten Ziele, abgesehen von der vier Zahlen, die er im Kopf hatte: Einen geilen Tag auf dem Rad, an einem Berg bei sich vor der Haustür, mit einem großen Haufen Leute zu verbringen. Dass dabei die Höhenmeter weiter purzeln geschieht fast nebenbei: 4000, 5000, 6000. Es rollt einfach. Und Fynn nimmt sich auch Zeit. Als er mit uns den Berg hochfährt und das Interview gibt, sind wir von den 300 Watt wahrscheinlich weit entfernt. Und auf dem nächsten Umlauf, für die Bilder von Kathrin, sicher auch. Aber die „Gemeinschaft ist mir viel wichtiger als Rekorde“. Lacht und fährt wieder hoch. Nicht mal, als wir uns in den Biergarten der Sportalm setzten, um Fynn mit der ganzen Familie zu unterstützen, eine Radlermaß und ein Stück Kuchen schmecken lassen, kippt bei Fynn die Laune.

Technischer Defekt?

Die 7000 und 8000 sind am Nachmittag erreicht. Doch bei 8380hm steigt die Höhenmeter und Kilometerangabe am Wahoo nicht mehr an. Überhitzung, Speicher voll, Batterie leer? Es hilft nur noch ein Reset. Bange Minuten am Straßenrand folgen. Kann die Aufzeichnung wiederhergestellt werden? So wie vorher die Höhenmeter immer mehr wurden, richtet sich der Blick nur auf den schleichend, langsam mehr werdenden Prozentzahl am Wahoo. Nach bangen Minuten ist die Tour wieder da. Es fehlen aber die letzten beiden Umläufe, als ca. 600 Höhenmeter. Der Reset hat ganze 20 Minuten gedauert. Gott sei Dank ist die Tour noch da und der Computer zeichnet auch wieder auf. Fynn fährt noch mal, und weil es noch nicht ganz zum Everesting reicht, ein weiteres Mal. „Aber das war schon ein Knackpunkt.“ Die letzte Runde fährt er alleine.

Glücksgefühle im Ziel

Oben am Sudelfeld wartet seine Freundin Kathrin und seine Schwester denen er mit Tränen in den Augen in die Arme fällt. Auf dem Tacho stehen 9280 Höhenmeter, 247 Kilometer und 266 Watt Durchschnittsleistung bergauf. Auf Strava ist Fynn jetzt natürlich die „Local Legend“ am Sudelfeld und auf everesting.cc steht sein Name in der Hall of Fame. Aber viel wichtiger war die Erfahrung, was mit dem Körper zwischen 7000 und 8000 Höhenmeter passiert. Die vielen Freunde, die mitgefahren sind und das gute Gefühl, es geschafft zu haben. Als die große Pizza und ein kühles Radler auf dem Tisch stehen, meint Fynn nur breit Grinsend: „Eigentlich hab ich gar keinen Hunger, war ja alles locker!“

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